Neue Entwicklungen in der Migränetherapie: Die Überarbeitete S1-Leitlinie 2022

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Dr. med. Kristian Ewald

Dr. med. Kristian Ewald ist promovierter Mediziner und Wissenschaftler. Mit einer reichen wissenschaftlichen Erfahrung aus dem Bereich der klinischen Forschung versteht er es, seine Kenntnisse mit den neuesten Erkenntnissen aus fundierten, evidenzbasierten Studien und Leitlinien zu verbinden. Sein Ziel ist es, wissenschaftlichen Erkenntnisse in praktische Anwendungen zu übersetzen, die Patient:innen mit Migräne sofort nutzen können.

Digitale Gesundheitsanwendung finden Beachtung

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) haben kürzlich die vollständig überarbeitete S1-Leitlinie zur Therapie der Migräne und Prophylaxe der Kopfschmerzattacke veröffentlicht. Diese Neuerungen sollen dazu beitragen, die Behandlung von Migräne zu verbessern und die Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen.

Inhalt:

Neue Medikamentenklassen und Focus auf personalisierter Prophylaxe

Eine wichtige Änderung in der aktualisierten Leitlinie betrifft die Einführung neuer Medikamentenklassen für die Akuttherapie, insbesondere die Gepante und Ditane. Die Ditane, insbesondere Lasmiditan, werden für Menschen mit erhöhtem Risiko für Schlaganfall oder Herzinfarkt empfohlen. Die Gepante, vertreten durch Rimegepant, stellen eine weitere neue Klasse von Akuttherapeutika dar.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der überarbeiteten Leitlinie ist die Betonung der Prophylaxe. Die Fachgesellschaften weisen darauf hin, dass die Möglichkeiten der medikamentösen Prophylaxe zu wenig ausgeschöpft werden. Sie empfehlen nun, eine vorbeugende Therapie immer von Schwere und Dauer der Erkrankung sowie den Lebensumständen abhängig zu machen – eine personalisierte, individuelle Prophylaxe.

Nebenwirkungen und fehlende Compliance sind weiterhin ein Problem

Obwohl beträchtliche Fortschritte in der Entwicklung von Medikamenten für die Prophylaxe der Migräne erzielt wurden, bleiben wesentliche Herausforderungen bestehen. Prophylaktika, einschließlich z.B. Betablocker, können erhebliche Nebenwirkungen verursachen, die das Wohlbefinden und die alltägliche Funktionsfähigkeit der Patienten beeinträchtigen. Diese Nebenwirkungen umfassen, aber beschränken sich nicht auf, Müdigkeit, Schwindel, Übelkeit, Schlafstörungen und erektile Dysfunktion.

Die neu eingeführten Gepante, während sie potenzielle Vorteile bieten, sind ebenfalls mit Nebenwirkungen verbunden. Dazu gehören Symptome wie Schläfrigkeit, Mundtrockenheit und eine potenzielle Abnahme der Leberfunktion.

Des Weiteren besteht das Problem der mangelnden Therapietreue. Viele Betroffene halten sich nicht an die verschriebene kontinuierliche Medikamenteneinnahme. Untersuchungen legen nahe, dass Betroffene mit einer episodischen Migräne prophylaktische Medikamente zu 80 % innerhalb des ersten Jahres wieder absetzen. Das erhöht deutlich das Risiko einen Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerz und Folgekomplikationen durch die verwendeten Medikamente.

Digitale Gesundheitsanwendungen sind Teil der nicht-medikamentösen Prophylaxe

Neben den medikamentösen Therapien werden in der neuen Leitlinie auch nicht-medikamentöse Optionen hervorgehoben. Ausdauersport, Entspannungstechniken und Verhaltenstherapie sind dabei wichtige Elemente. Erstmals werden auch Digitale Anwendungen, wie Smartphone-Applikationen in den Leitlinien erwähnt. Dabei können die sogenannten DiGA (Digitale Gesundheitsanwendungen) mit einer klinischen Evidenz ebenfalls hilfreich sein.

Ein Beispiel für eine nicht-medikamentöse DiGA mit klinischer Evidenz und einer signifikanten Reduktion von Migräne-Tagen im Monat ist die sinCephalea-App. sinCephalea ist dabei auf Basis von klinischen Studiendaten als DiGA vorläufig in das Verzeichnis des BfArMs aufgenommen und somit durch die Krankenkassen erstattungsfähig.

sinCephalea bietet eine Vielzahl von Vorteilen für Betroffene, die an Migräne leiden. Sie basiert auf einem Ansatz der personalisierten Ernährung, der es den Betroffenen ermöglicht, spezifische Lebensmittel zu reduzieren, die für unerwünschte hochglykämische Reaktionen verantwortlich sind, anstatt eine restriktive Diät einzuhalten, bei der alle kohlenhydrathaltigen Lebensmittel ausgeschlossen werden. Darüber hinaus bietet die App ein Kopfschmerztagebuch, in dem Ereignisse wie Migräneattacken und deren Symptome festgehalten werden können. Dies hilft den Betroffenen, ihre Krankheit besser zu verstehen und mögliche Auslöser oder Muster in ihrem Migräneverlauf zu identifizieren.

Die App bietet auch Lektionen über Migräne und Ernährung sowie weitere bewährte Lebensstilregeln bei Migräne, wie zum Beispiel Stressreduktion und Schlafhygiene. Dieses zusätzliche Wissen ermöglicht es den Betroffenen, ihre Krankheit und die durchgeführte Ernährungstherapie tiefgehender zu verstehen, was ihnen hilft, sich leichter und besser an die Veränderungen zu gewöhnen und einzuhalten.

Im Vergleich zu einer herkömmlichen medikamentösen-Therapie, die oft die oben diskutierten, unerwünschten Nebenwirkungen verursachen, bietet sinCephalea eine wirksame, schonendere und risikoarme Option ohne Nebenwirkungen.

Zusammenfassend stellt die überarbeitete S1-Leitlinie einen wichtigen Schritt in der Verbesserung der Migränetherapie dar. Sie bietet Patienten und medizinischem Fachpersonal eine aktuelle und umfassende Orientierung über die besten verfügbaren Therapieoptionen für Migräne. Gleichzeitig betont sie die Notwendigkeit einer individuellen, auf den Patienten zugeschnittenen Therapie und Prophylaxe, die sowohl medikamentöse als auch nicht-medikamentöse Strategien einbezieht. Digitale Gesundheitsanwendungen haben dabei den Weg in die Leitlinie gefunden und können zukünftig ein fester Bestandteil der nicht-medikamentösen Prophylaxe werde.


Referenzen

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  2. Diener, H.-C., Gaul, C., and Kropp, P. (2018). Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne: Entwicklungsstufe: S1. Nervenheilkunde 37, 689–715.
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