DiGA im Gesundheitsmarkt: Herausforderungen, Chancen und ein Blick in die Zukunft

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Yannick Becker

Yannick Becker ist Bewegungswissenschaftler mit gesundheitsökonomischer Expertise und arbeitet als Market Access Manager. Er ist für den Marktzugang und die Preisgestaltung sowie -verhandlung der digitalen Gesundheitsanwendungen zuständig und unterstützt außerdem in Belangen des Business Developments. Durch die interdiszplinäre Erfahrung im gesundheitswissenschaftlichen sowie -ökonomischen Bereich ist er in vielen DiGA-relevanten Fachthemen eingebunden.

Im Bereich des „Market Access“ steht man im eher medizinisch geprägten Feld ganz besonderen Hürden aber auch Chancen mit hoher Relevanz gegenüber. Diese Aufgaben, die ein ineinandergreifen vieler Zahnräder voraussetzen, drücken gleichzeitig die interdisziplinäre Vielfältigkeit des Gesundheitsmarktes aus.

Bei der Entstehung und Schaffung neuer Therapiemöglichkeiten ergeben sich neben Herausforderungen auch beträchtliche Chancen, die für eine große Anzahl an Menschen einen Mehrwert darstellen können. Zwar hat die noch junge Branche digitaler Therapeutika in den letzten Jahren einen ungeheuren Aufschwung erhalten – Deutschland konnte sich als weltweiter Pionier im Bereich der digitalen Therapieanwendungen beweisen – aber auch kleinere Rückschläge erfahren, die zeigten, dass es neben den ungeahnten Möglichkeiten auch regulatorische und vor allem wirtschaftliche Besonderheiten zu adressieren gilt. Es folgt ein Überblick über das Potential der jungen Branche im Bereich der Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA).

Eine neue und anspruchsvolle Herausforderung für digitale Startups

Der Markt der digitalen Gesundheitsanwendungen kann ebenso dynamisch wie herausfordernd sein. Neben den anspruchsvollen Voraussetzungen an Datenschutz, -sicherheit und Benutzerfreundlichkeit fordert das Siegel „DiGA“ eine abgesicherte Basis an Evidenz, die Wirksamkeit und Nutzen der Therapien hinreichend belegen. Da wir uns als Symbiose aus Wissenschaft und Technik verstehen, ist unser Antrieb Nummer 1, ein starkes Fundament an Evidenz zu schaffen. Mit Hilfe unserer Pilotstudien konnten wir zeigen, dass unsere digitale Migräneprophylaxe sinCephalea (und auch die Lebensstiltherapie glucura) großartige Effekte aufweist. Es zeigte sich bei der 3-monatigen Anwendung von sinCephalea ein Rückgang an monatlichen Migränetagen von im Durchschnitt 2,4 Tagen.

Gerade sind wir dabei, die Wirksamkeit von sinCephalea in einer groß angelegten RCT weiter zu untersuchen. Auch wenn die Evidenzgrundlage das “Herzstück” jeder Therapieform darstellt, erfordert die Besonderheit der digitalen Bereitstellung gleichzeitig allerhand technisches und datenregulatorisches Knowhow. Eine enge Zusammenarbeit vieler Disziplinen – vom Programmieren, Design, Marketing bis hin zur Betriebswirtschaft – müssen zielgerichtet ineinandergreifen.

Es bedarf keiner großen Rechenkünste, um zu erahnen, dass all diese Schritte – neben dem interdisziplinären Personal – erhebliche Kosten verursachen, die wiederum durch Erträge kompensiert werden müssen. Das alles erklärt, wieso eine DiGA nicht einfach wie jede andere im Appstore erhältliche App zum Spottpreis verkauft werden kann. Wir bieten eine lang vorbereitete, streng regulierte und therapeutisch konzipierte digitale Behandlungsmöglichkeit an, die durch kontinuierliches Glukosemonitoring, selbst entwickelter Algorithmus und leitliniengerechten wissenschaftlichen Inhalten eine individuelle Betrachtung eines jeden Betroffenen ermöglicht. Das Endprodukt, welches sich nach Fertigstellung in einer groß angelegten Studie und dem darauffolgenden Zulassungsprozess beweisen muss, hat bis dahin schon unzählige Stunden verschiedenster Disziplinen verschlungen, ohne zu wissen, mit welchem Preis es letztlich versehen wird. Das bringt eine gewisse Unsicherheit und ein großes Risiko mit sich.

Das Pendant zum Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) – mit schwierigeren Voraussetzungen 

Das solidarische Gesundheitssystem Deutschlands ist per Gesetz in hohem Maß dem Wirtschaftlichkeitsgebot verpflichtet. Immer höhere Kosten zwingen auch die Krankenkassen dazu, in jeder Sparte größtmögliche Einsparungen zu erzielen – dies gilt leider auch für den noch jungen DiGA-Markt. Nach dem ersten Jahr „freier“ Preisbildung (auch hier gibt es sogenannte Höchstbeträge für DiGA gleicher Indikation) folgt eine Preisverhandlung mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV), ganz ähnlich dem Prozess, der sich auch im AMNOG-Prozess für Arzneimittel etabliert hat.

Hier treffen zwei Welten aufeinander, denn wo Kassen aufgrund von steigenden Kosten im Gesundheitssystem (von denen DiGA gerade mal 0,02% ausmachen)1 alles dafür tun, das Wirtschaftlichkeitsgebot zu verfolgen und Kosten einzusparen, stehen auf der anderen Seite oft Startups, die risikokapitalfinanziert sind und durch die horrenden Kosten der DiGA-Entwicklung unter immensem Druck stehen. Die allermeisten dieser Hersteller stehen noch nicht auf eigenen (wirtschaftlichen) Beinen, da die Einführung dieser neuen Therapie- und Erstattungsform eine weitere, große Herausforderung mit sich bringt.

Ein Markt muss informieren und aufklären, Betroffene erreichen und Ärztinnen und Ärzte überzeugen. Wie bei jeder neuen Behandlungsform, gerade wenn es sich um eine neue digitale Variante handelt, herrscht Skepsis, die mit validen Daten und dem Nachweis des medizinischen Nutzens beseitigt werden muss. Und so stehen Hersteller am Ende der vielen regulatorischen Hürden vor einer faszinierenden und gleichsam anspruchsvollen Erkenntnis: Das Potential von DiGA ist mit Blick auf die Wirksamkeit, den niedrigschwelligen Zugang und der Einbindung in das Arzt-Betroffenen Monitoring riesig – die bislang erreichten Verordnungen und Belastungen für das Gesundheitssystem jedoch im Vergleich mit denen der Arzneimittel überschaubar.

Bildlich gesprochen ergibt sich daher ein Ringen um Anerkennung biblischen Ausmaßes: Startups, die „Davids“, stehen einem potenten Markt gegenüber, dem es an innovativen Lösungen mangelt. Leider stehen diesen Finanzierungsproblemen, regulatorische Hürden, Aufklärung, Durchdringung und die finale Verhandlung mit den Krankenkassen gegenüber, also einer Art „Goliath“. Wir können nur hoffen, dass die Historie ein weiteres Mal die Existenzberechtigung von sogenannten Underdogs bestätigt. In diesem Falle bedeutet ein Sieg des Davids jedoch auch, dass viele Betroffene uneingeschränkten therapeutischen Zugang zu einer wirksamen Therapie erhalten und ein Markt bedient wird, der vor immer größeren Versorgungslücken steht.

Die Zukunft bleibt offen, birgt aber Unmengen Potenzial

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Blick in die Zukunft aufgrund der Wachstumszahlen und der gesetzgeberischen Bemühungen durchaus positiv zu bewerten ist. Mit heutigem Stand prägen 54 (vorläufig und dauerhaft zugelassene) verschiedene digitale Gesundheitsanwendungen die Möglichkeiten der digitalen Therapielandschaft, Tendenz steigend. Bekanntheit, Anerkennung und Zufriedenheit nehmen ebenfalls zu. Unternehmen fangen an, sich mit den wirtschaftlichen Herausforderungen auseinanderzusetzen und die Möglichkeiten des Marktes weiter zu nutzen, während der Gesetzgeber mit weiteren gesetzlichen Feinschliffen eine immer tiefere Verflechtung der digitalen Therapeutika mit der Versorgungsrealität ermöglicht.

Der Zug fährt und wir alle sind hochmotivierte Passagiere in Richtung Win-Win-Win Situation. Ein Gewinn für ambitionierte Innovationstreiber, eine Entlastung für Ärztinnen und Ärzte und vor allem: eine breitflächige Versorgung derer, die dringend auf Therapien angewiesen sind.

Referenzen

1: GKV-Spitzenverband, 2023. Die aktuellen Statistiken zur gesetzlichen Krankenversicherung. 1.-2. Quartal 2023 im Vergleich zum 1.-2. Quartal 2022. https://www.gkv-spitzenverband.de/service/zahlen_und_grafiken/gkv_kennzahlen/gkv_kennzahlen.jsp

Autor

  • Yannick Becker

    Yannick Becker ist Bewegungswissenschaftler mit gesundheitsökonomischer Expertise und arbeitet als Market Access Manager. Er ist für den Marktzugang und die Preisgestaltung sowie -verhandlung der digitalen Gesundheitsanwendungen zuständig und unterstützt außerdem in Belangen des Business Developments. Durch die interdiszplinäre Erfahrung im gesundheitswissenschaftlichen sowie -ökonomischen Bereich ist er in vielen DiGA-relevanten Fachthemen eingebunden.

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